Mittwoch, 14. Januar 2015

[R] Diskussion: Weisser Aufpreis


 [R] Diskussion: Weisser Aufpreis

 

Die Abmachung: Herr Taxifahrer fährt mich zu „International Sound“, wartet 5 Minuten während ich professionellen Mikrofone und die zwei dazugehörgen schweren Koffer abhole, und fährt mich zurück zur Busstation nach Granada. Preis, den er vorschlägt: 100 Cordoba, ein normaler Preis.

Am Ende der Fahrt hat alles gut funktioniert ---  nur der Fahrer fordert nach Erhalt der 100 Cordoba plötzlich 50 weitere, angeblich hätte er 20 Minuten statt 5 auf mich warten müssen, entweder ein Fall von klarer Lüge oder sehr desquilibriertem Zeitgefühl seinerseits, es waren allerhöchstens 10 Minuten.
Nun läuft in meinem Köpfchen eine Diskussion ab:

____________
Nichts aussergewöhnliches, es ist allgemein bekannt dass auf dem Markt oft teurere Preise genannt werden wenn „Cheles“ – Weisse - also offensichtliche Ausländer sich nach dem Preis eines Produkts erkunden. Auch bei Angeboten, die sich klar an Touristen richten, also Reiseausflüge und Souvenirs, ist der Aufpreis offensichtlich. Mein allererstes Erlebnis hier war,  dass eine Taxifahrerin statt gängiger, fairer 40 Dollar für die Fahrt vom Flughafen nach Granada bei Ankunft plötzlich 50 verlangte. Unter uns Freiwilligen wird das gerne scherzhaft als „Chele-Bonus“ bezeichnet und man lernt sofort, auf dem Markt und vor Taxifahren erst nach dem Preis zu fragen, und wenn angebracht, zu verhandeln.

Gehen wir davon aus, dass der Taxifahrer mehr Geld forderte, da er mich als Ausländer erkannte. Leute wie er, gehen davon aus, dass weisse Ausländer viel reicher sind als ein jeder Nicaraguaner, und sie liegen richtig in der Annahme. Man kann davon ausgehen dass jeder Europäer oder Nordamerikaner, der das Geld hat um ein Flugticket nach Nicaragua zu kaufen, um ein vielfaches reicher ist als 90% aller Nicaraguaner. Es sollte auch allgemein bekannt sein, dass die Armut und Unterentwicklung der armen Länder auf Jahrhunderte andauernder Ausbeutung durch westliche Mächte zurückzuführen ist. Der „Chele-Bonus“ könnte also einfach als kleiner Ausgleich der globalen Ungerechtigkeit akzeptiert werden; man könnte ihn sogar in einer gönnerhaften, grosszügigen Gutmenschen-Pose zahlen.

Andererseits ist es diskriminierend, jemandem aufgrund seiner Hautfarbe einen Aufpreis zahlen zu lassen. Und tatsächlich kann man nie verallgemeinern: Wir Freiwillige sind eine Art Ausnahme unter den Weissen in Nicaragua, denn wir arbeiten zwar, erhalten aber keinen direkten Lohn sondern ein monatliches Taschengeld, Spenden der deutschen Gesellschaft. Wir verdienen also nicht einen Haufen Kohle und wollen unseren Familien nicht auf der Tasche liegen.


Es liegt uns also fern, eine unverhältnissmässige Preiserhöhung von 50% zu akzeptieren.

Doch, seien wir ehrlich, ob die Taxifahrt letztendlich 3 oder 5 Euro kostet -  es ist für einen Europäer ein lächerlicher Preis.

Andererseits befinden wir uns in Nicaragua in einem Land mit grossen Unterschieden zu Europa. Mit anderen Märkten und Preisen. Klar gibt es das Phänomen, dass ausländische Währungen hier grosse Kaufkraft haben, doch dass beispielsweise Taxifahrten so günstig sind, lassen nicht gleich auf einen Hungerlohn schliessen. Taxifahrer verdienen hier, anders als in Deutschland, wo Taxifahrer gerne als gescheiterte Existenzen belächelt werden, die zu nichts anderem als Autofahren taugen, gar nicht mal so schlecht. Ein Monatslohn von umgerechnet knapp 200 Euro mag sich für deutsche Verhältnisse nach gnadenloser Ausbeutung anhören, ist hier in Nicaragua jedoch ein normaler Verdienst.  Der Punkt ist, dass die Lebenshaltungskosten die eine Familie hier tragen muss, deutlich geringer sind als in Deutschland. Nicht nur dass, das sei am Rande bemerkt, natürlich die Heizungskosten wegfallen. Lebensmittel sind hier deutlich günstiger, eine Coca-Cola kostet weniger als einen Euro und vor allem Dienstleistungen sind günstiger.

Letzteres führt zum angreifbaren Punkt dieser Argumentation, denn man könnte dagegen argumentieren, dass der Grossteil dieser niedrigen Preise nur aufgrund der Ausbeutung von Arbeitskräften möglich ist. Oder auch beispielsweise, dass Löhne zwar ausreichen um von Monat zu Monat zu leben, jedoch nur weil darin keine Sozialausgaben inbegriffen sind, man am Abend seines Lebens also praktisch keine Rente erhält.

Mit diesem Wissen um Hinterkopf fühlte es sich für mich jedoch eher ungerecht an dem Typen einen Bonus zu gewähren, da andere Menschen für 50 Pesos richtig arbeiten müssen, er sie aber für ein paar Minuten Sitzen im stehenden Auto haben wollte. In Granada fahren einen die Taxifahrer für 10 Pesos durch das gesamte Zentrum.

Dieses Argument liess für mich auch die Realität unbedeutend werden, dass es eine Leichtigkeit für mich gewesen wäre, viel mehr für die Fahrt auszugeben, da die Kosten der „Dienstreise“ von der Fundación Casa de los Tres Mundos getragen wurde.

Ein Aspekt, das übrigens tatsächlich manche Bettler vortragen, ist das der Gewalt. Um an Geld zu kommen, könnten sie einen mit einem Machtete ausrauben, aber nein, sie machen sich die Mühe einem freundlich um ein Paar Pesos zu bitten, man solle das doch bitte berücksichtigen und werschätzen. Und tatsächlich, sollte man die hart arbeitenden Menschen nicht unterstützen, sind sie nicht die Heiligsten unserer Gesellschaft? Menschen, die einfach nur versuchen zu überleben und einem ihre Dienste anbieten, statt auf Kosten anderer zu leben, so wie Bettler, Banker und Banditen?
___________
Jedenfalls bot ich dem Herrn Taxifahrer also beruhigend 20 Pesos mehr an, hätte mich auch auf 30 hochhandeln lassen.

Er akzeptierte es jedoch nicht, wurde vielmehr agressiv, folgte mir in den Bus und drohte, meine Brille kaputtzuschlagen und mich zu verprügeln wenn ich ihm keine 50 Cordobas gebe. Damit war mir klar, dass ich ihm nicht Folge zu leisten würde, denn wenn mir jemand wegen einer solch kleinen Sache mit Gewalt droht, statt vernünftig zu diskutieren oder Kompromisse einzugehen, ist er für mich ein gewalttätiger Idiot. Nach ein paar Minuten Streit schnappte er sich sogar meine Brille. Nun sass er tatsächlich am längeren Hebel, denn die Brille hat erstens einen grossen materiellen Wert, ist sicherlich mehr wert als er im Monat verdient, und hat zweitens für mich persönlich unschätzbare Bedeutung, da in Nicaragua unersetzbar. Doch er war tatsächlich ein Idiot, denn er liess mir nichtmal Zeit zum reagieren, sondern schleuderte sie kurz darauf auf den Boden und verschwand tobend in seinem verlotterten Taxi.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen