[R] Diskussion: Weisser Aufpreis
Die Abmachung: Herr
Taxifahrer fährt mich zu „International Sound“, wartet 5 Minuten während ich
professionellen Mikrofone und die zwei dazugehörgen schweren Koffer abhole, und
fährt mich zurück zur Busstation nach Granada. Preis, den er vorschlägt: 100 Cordoba,
ein normaler Preis.
Am Ende der Fahrt
hat alles gut funktioniert --- nur der Fahrer
fordert nach Erhalt der 100 Cordoba plötzlich 50 weitere, angeblich hätte er 20
Minuten statt 5 auf mich warten müssen, entweder ein Fall von klarer Lüge oder
sehr desquilibriertem Zeitgefühl seinerseits, es waren allerhöchstens 10
Minuten.
Nun läuft in meinem
Köpfchen eine Diskussion ab:
Nichts
aussergewöhnliches, es ist allgemein bekannt dass auf dem Markt oft teurere
Preise genannt werden wenn „Cheles“ – Weisse - also offensichtliche Ausländer
sich nach dem Preis eines Produkts erkunden. Auch bei Angeboten, die sich klar
an Touristen richten, also Reiseausflüge und Souvenirs, ist der Aufpreis
offensichtlich. Mein allererstes Erlebnis hier war, dass eine Taxifahrerin statt gängiger, fairer
40 Dollar für die Fahrt vom Flughafen nach Granada bei Ankunft plötzlich 50
verlangte. Unter uns Freiwilligen wird das gerne scherzhaft als „Chele-Bonus“
bezeichnet und man lernt sofort, auf dem Markt und vor Taxifahren erst nach dem
Preis zu fragen, und wenn angebracht, zu verhandeln.
Gehen wir davon
aus, dass der Taxifahrer mehr Geld forderte, da er mich als Ausländer erkannte.
Leute wie er, gehen davon aus, dass weisse Ausländer viel reicher sind als ein
jeder Nicaraguaner, und sie liegen richtig in der Annahme. Man kann davon
ausgehen dass jeder Europäer oder Nordamerikaner, der das Geld hat um ein
Flugticket nach Nicaragua zu kaufen, um ein vielfaches reicher ist als 90%
aller Nicaraguaner. Es sollte auch allgemein bekannt sein, dass die Armut und
Unterentwicklung der armen Länder auf Jahrhunderte andauernder Ausbeutung durch
westliche Mächte zurückzuführen ist. Der „Chele-Bonus“ könnte also einfach als
kleiner Ausgleich der globalen Ungerechtigkeit akzeptiert werden; man könnte
ihn sogar in einer gönnerhaften, grosszügigen Gutmenschen-Pose zahlen.
Andererseits ist
es diskriminierend, jemandem aufgrund seiner Hautfarbe einen Aufpreis zahlen zu
lassen. Und tatsächlich kann man nie verallgemeinern: Wir Freiwillige sind eine
Art Ausnahme unter den Weissen in Nicaragua, denn wir arbeiten zwar, erhalten
aber keinen direkten Lohn sondern ein monatliches Taschengeld, Spenden der
deutschen Gesellschaft. Wir verdienen also nicht einen Haufen Kohle und wollen
unseren Familien nicht auf der Tasche liegen.
Es liegt uns also
fern, eine unverhältnissmässige Preiserhöhung von 50% zu akzeptieren.
Doch, seien wir
ehrlich, ob die Taxifahrt letztendlich 3 oder 5 Euro kostet - es ist für einen Europäer ein lächerlicher
Preis.
Andererseits befinden
wir uns in Nicaragua in einem Land mit grossen Unterschieden zu Europa. Mit
anderen Märkten und Preisen. Klar gibt es das Phänomen, dass ausländische
Währungen hier grosse Kaufkraft haben, doch dass beispielsweise Taxifahrten so
günstig sind, lassen nicht gleich auf einen Hungerlohn schliessen. Taxifahrer
verdienen hier, anders als in Deutschland, wo Taxifahrer gerne als gescheiterte
Existenzen belächelt werden, die zu nichts anderem als Autofahren taugen, gar
nicht mal so schlecht. Ein Monatslohn von umgerechnet knapp 200 Euro mag sich
für deutsche Verhältnisse nach gnadenloser Ausbeutung anhören, ist hier in
Nicaragua jedoch ein normaler Verdienst.
Der Punkt ist, dass die Lebenshaltungskosten die eine Familie hier
tragen muss, deutlich geringer sind als in Deutschland. Nicht nur dass, das sei
am Rande bemerkt, natürlich die Heizungskosten wegfallen. Lebensmittel sind
hier deutlich günstiger, eine Coca-Cola kostet weniger als einen Euro und vor
allem Dienstleistungen sind günstiger.
Letzteres führt
zum angreifbaren Punkt dieser Argumentation, denn man könnte dagegen
argumentieren, dass der Grossteil dieser niedrigen Preise nur aufgrund der
Ausbeutung von Arbeitskräften möglich ist. Oder auch beispielsweise, dass Löhne
zwar ausreichen um von Monat zu Monat zu leben, jedoch nur weil darin keine
Sozialausgaben inbegriffen sind, man am Abend seines Lebens also praktisch
keine Rente erhält.
Mit diesem Wissen
um Hinterkopf fühlte es sich für mich jedoch eher ungerecht an dem Typen einen
Bonus zu gewähren, da andere Menschen für 50 Pesos richtig arbeiten müssen, er
sie aber für ein paar Minuten Sitzen im stehenden Auto haben wollte. In Granada
fahren einen die Taxifahrer für 10 Pesos durch das gesamte Zentrum.
Dieses Argument
liess für mich auch die Realität unbedeutend werden, dass es eine Leichtigkeit
für mich gewesen wäre, viel mehr für die Fahrt auszugeben, da die Kosten der
„Dienstreise“ von der Fundación Casa de los Tres Mundos getragen wurde.
Ein Aspekt, das
übrigens tatsächlich manche Bettler vortragen, ist das der Gewalt. Um an Geld
zu kommen, könnten sie einen mit einem Machtete ausrauben, aber nein, sie
machen sich die Mühe einem freundlich um ein Paar Pesos zu bitten, man solle
das doch bitte berücksichtigen und werschätzen. Und tatsächlich, sollte man die
hart arbeitenden Menschen nicht unterstützen, sind sie nicht die Heiligsten
unserer Gesellschaft? Menschen, die einfach nur versuchen zu überleben und
einem ihre Dienste anbieten, statt auf Kosten anderer zu leben, so wie Bettler,
Banker und Banditen?
___________
Jedenfalls bot
ich dem Herrn Taxifahrer also beruhigend 20 Pesos mehr an, hätte mich auch auf
30 hochhandeln lassen.
Er akzeptierte es
jedoch nicht, wurde vielmehr agressiv, folgte mir in den Bus und drohte, meine
Brille kaputtzuschlagen und mich zu verprügeln wenn ich ihm keine 50 Cordobas
gebe. Damit war mir klar, dass ich ihm nicht Folge zu leisten würde, denn wenn
mir jemand wegen einer solch kleinen Sache mit Gewalt droht, statt vernünftig
zu diskutieren oder Kompromisse einzugehen, ist er für mich ein gewalttätiger
Idiot. Nach ein paar Minuten Streit schnappte er sich sogar meine Brille. Nun
sass er tatsächlich am längeren Hebel, denn die Brille hat erstens einen
grossen materiellen Wert, ist sicherlich mehr wert als er im Monat verdient,
und hat zweitens für mich persönlich unschätzbare Bedeutung, da in Nicaragua
unersetzbar. Doch er war tatsächlich ein Idiot, denn er liess mir nichtmal Zeit
zum reagieren, sondern schleuderte sie kurz darauf auf den Boden und verschwand
tobend in seinem verlotterten Taxi.
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